Das Bild im Schulhaus ist ein Druck von Emil Zbinden. Es heisst „Tscharnergut“ und markiert jetzt den Treppenaufgang im Schulhaus Tscharnergut“. Es ist eine Besonderheit, dass ein Bild und sein Ausstellungsort den gleichen Namen tragen.
Die Bauten am Tscharnergut begannen 1958 und wurden 1965 beendet. Vor den Augen der Berner und Bernerinnen entstand das damals grösste Wohnbauprojekt der Schweiz, besonders gut sichtbar die fünf zwanziggeschossigen Punkthochhäuser und die acht achtgeschossigen Scheibenhochhäuser.
Der Name „Tscharnergut“ stammt von der Berner Patrizierfamilie von Tscharner. Hier war ihr Landgut. Hier waren Bauern und Bäuerinnen am Werk. Wer an die letzten Jahre vor Baubeginn erinnert werden will, höre sich den „Tscharni-Blues“ von Chlöisu Friedli an. Er singt davon, was er als Kind erlebt hat.
Diese Veränderung muss einem Berner besonders aufgefallen sein: Emil Zbinden. Er war fünfzig Jahre alt, als die Bauarbeiten begannen. Er wohnte in der Berner Altstadt. Er war Grafiker, Zeichner, Maler und Holzschnittkünstler. Sein ganzes Leben lang beobachtete er genau, wie sich die Welt um ihn und das Leben der Menschen veränderten. Er hielt den Wandel der Dörfer, Städte und Landschaften in unzähligen Bildern fest. So wollte er unbedingt auch das Tscharnergut in einem Druck darstellen.
Gegen Ende der langen Bauarbeiten packte er also seine Zeichengeräte, wanderte über den Gäbelbach zur Riederen, setzte sich unter der Linde auf die Bank und zeichnete, was vor ihm lag. Wer selbst diesen Weg unter die Füsse nimmt und sich unter die Linde setzt, wird sehen, was vom Künstler festgehalten, was weggelassen und was neu gestaltet wurde.
Auf den ersten Blick zeigt das Bild zwei Arbeitsorte: Vor dem Eichwald die Landwirtschaft: Erntearbeit, hinter dem Wald die Baustelle: Kräne, Bauarbeit. Die Fuder sind bald fertig geladen, die Häuser sind bald fertig gebaut.
Auf den zweiten Blick zeigt es zwei Welten: Vorne die Welt der Landwirtschaft, hinten die Welt der modernen Zeit. Unter dem einen Dach des Bauernhauses wohnt eine einzige Familie mit ihren Haustieren, den Kühen, Schweinen, Pferden, Ziegen, Hühnern, dem Hofhund und den Katzen. Es sind Nutztiere, die arbeiten, Milch, Eier und Fleisch liefern. Unter einem einzigen Dach eines Hochhauses wohnen viele Familien. Die paar Haustiere, ein Hund, eine Katze, ein Wellensittich, sind keine Nutztiere, sondern einfach Freunde.
Auf den dritten Blick sieht man das alte Bern zwischen den modernen Bauten und den Bergen: das Bundeshaus, die Friedenskirche, „d’Haslere“ und weitere Gebäude, die nur kundige Bernerinnen und Berner kennen. Dafür muss man aber schon eine Lupe nehmen, so klein sind sie dargestellt.
Es ist nun an der Zeit zu fragen, wie dieses Bild in Schwarz-weiss entstanden ist. Es ist ein Holzstich. Das ist ein Druck. Die Zeichnung übertrug Emil Zbinden vorher auf eine grosse Platte aus sehr hartem Holz und schnitt mit seinen Sticheln Tage und Wochen lang, bis eine fertige Druckplatte vor ihm lag: Was weiss sein soll, hat er weggeschnitten, was schwarz sein soll, hat er stehen lassen. Diese Platte wurde dann mit einer Walze eingefärbt. Auf die Platte legte der Künstler ein Blatt, das er unter einer Druckpresse andrückte. So konnte er in der Folge so viele Blätter mit dem gleichen Motiv drucken, wie er wollte.
Aber wie konnte der Wald so fein geschnitten werden, dass man die Blätter fast rauschen hört? Weil es kein Holzschnitt ist, sondern ein Holzstich. Hier nimmt der Künstler eine Holzplatte, die aus Stücken geleimt ist, so dass das Hirnholz oder Stirnholz zur Arbeitsfläche wird, nicht das Langholz wie beim Holzschnitt. Diese Holzplatte ist dann so hart, dass das Messer des Holzschneiders zu grob wäre und mit einem feinen Stichel ausgetauscht werden muss. Auch die dünnsten Teile des Holzes bleiben so stehen und brechen nicht weg. Beim Langholz wäre das anders. Emil Zbinden sagte einmal: „Am liebsten arbeite ich in Birnbaumholz, das zehn Jahre lang im Regen gelegen ist.“ Die Arbeit kann dann nicht schnell vorwärtsgehen. Emil Zbinden sagte dazu: „Es wäre langweilig, mir zuzuschauen. An einem Quadratzentimeter arbeite ich vielleicht eine Stunde lang.“ Wer den Druck „Tscharnergut“ ausmisst, kommt auf rund 1’440 Quadratzentimeter! Nur schon das zeigt: Emil Zbinden war ein Meister seines Faches.
Vielleicht geht jemand einmal über den Gäbelbach zur Riederen, setzt sich unter der Linde auf die Bank und schaut, was sich verändert hat, seit Emil Zbinden seinen Holzstich geschaffen hat. Nun hängt dieser im Schulhaus „Tscharnergut“, wo jene Kinder zur Schule gehen, die in den abgebildeten Häusern wohnen. Gäbe es für dieses Bild einen passenderen Ort?
Peter Steiger, Förderverein Emil Zbinden
1958 begannen die Bauten am Tscharnergut. Vor den Augen der Berner und Bernerinnen entstand das damals grösste Wohnbauprojekt der Schweiz. Emil Zbinden (1908-1991) war 50 Jahre alt.
Emil Zbinden war ein Berner Künstler. Sein ganzes Leben lang beobachtete er genau, wie sich die Welt um ihn veränderte. Er hielt den Wandel der Dörfer, Städte und Landschaften in unzähligen Bildern fest. So wollte er unbedingt auch das Tscharnergut in einem Druck darstellen.
Gegen Ende der langen Bauarbeiten packte er also seine Zeichengeräte, wanderte über den Gäbelbach zur Riederen, setzte sich unter der Linde auf die Bank und zeichnete, was vor ihm lag.
Er fertigte nicht eine, sondern mehrere Zeichnungen an. Die letzte Zeichnung aber übertrug er zu Hause auf eine grosse Platte aus sehr hartem Holz und schnitt mit seinen Sticheln Tage und Wochen lang, bis eine fertige Druckplatte vor ihm lag: Was weiss sein soll, hat er weggeschnitten, was schwarz sein soll, hat er stehen lassen. Diesen Druckstock färbte er mit einer Walze mit schwarzer Druckfarbe ein und druckte davon viele Abzüge.
In der Folge kamen diese Bilder zu Liebhabern von Zbindens Kunst in der ganzen Schweiz. Ein Blatt aber hängt hier im Schulhaus, wo jene Kinder zur Schule gehen, die in den abgebildeten Häusern wohnen.